PD. Michael Reinhard Hess

PD. Michael Reinhard Hess

Zwischen zwei Feuern – der Orient und wir

Unsere Wahrnehmung des muslimischen Orients steht derzeit auf des Messers Schneide oder, um es mit einem Bild zu sagen, das dem gegebenen Anlass noch angemessener ist: sie bewegt sich zwischen zwei Feuern. Von den Bedeutungen des „Feuers“ im Kreuzfeuer der orientalischen und okzidentalischen Kulturen wird im Zusammenhang mit dem Projekt FEUER von Adelheid Seltmann noch viel zu hören sein. In meinem kurzen Beitrag möchte ich lediglich zwei Semantisierungen des Brennenden daraus aufgreifen, die ihr Vorbild in der klassischen Dichtung des muslimischen Orients haben. Und zwar handelt es sich einerseits um den negativen, verzehrend-zerstörenden Aspekt des Feuers (Stichwort „Höllenfeuer“) und anderseits um dessen positiven, anziehenden, leuchtend-erwärmenden (der dem einer Kerze ähnelt).

Dieses Bild eignet sich auch zur Charakterisierung dessen, was gegenwärtig in der deutschen Auseinandersetzung mit dem Islam und muslimischen Einwanderern geschieht. Ayatollah Chomeini hat 1979 eine Ära eingeläutet, in der der Islam sich zunehmend zum Schreckbild des modernen Westens machte. Allen voran der barbarische Terror von 9/11, haben sich seither zahllose mit dem Islam verbundene oder ihn in Anspruch nehmende Akte der Gewalt, Menschenverachtung und Provokation in das kollektive Gedächtnis des globalisierten Zeitalters eingebrannt. Mit Thilo Sarrazins Buch und Angela Merkels anschließender Absage an den Multikulturalismus dürfte selbst dessen realitätsfernsten Vertretern klargeworden sein, dass ein großer Teil der hier lebenden Menschen tatsächlich ein angstbeladenes Verhältnis zum Islam hat. So berechtigt die Kritik an bestimmten Inhalten und Praktiken des Islams auch sein mag – wobei unsere diesbezügliche Auseinandersetzung sich immer noch überwiegend an Quisquilien und Äußerlichkeiten wie dem Kopftuch, Schwimmbadteilnahmeverweigerung oder Schweinefleischboykott aufhält und aufgrund fehlenden intellektuellen Mutes das Anschneiden der essentiellen Knackpunkte den sogenannten Rechtspopulisten oder Islamkritikern überlässt –, seit Sarrazin ist auch die immer noch latente Gefahr offenbar geworden, sachliche Kritik mit Ressentiments, Diskriminierung und rassistischen Versatzstücken aufzuladen. Das Feuer, das uns von dieser Seite bedroht, ist das Feuer der nicht weit von den für die Debatte Symbolcharakter tragenden Vierteln Kreuzberg und Neukölln am 10. Mai 1933 verbrannten Bücher. Und es ist das Höllenfeuer, in dem die Nationalsozialisten kurz darauf Europa versinken ließen.

Dies ist wahrlich eine apokalyptische Ansicht. Werden wir erneut in einem Pyriphlegeton des Hasses versinken, dessen Haupt-Zielscheibe diesmal eben nicht die Juden, sondern Muslime, Türken und Araber sind? Werden wir Deutschen erneut die Kontrolle über unseren Verstand verlieren und von blinden und destruktiven Emotionen gesteuert in den Untergang marschieren?

Glücklicherweise gibt es da aber noch das andere Feuer. Parallel zu den sich phasenweise zu gigantischem Medien-Hype ausweitenden sensationalistischen Polemiken über die angebliche muslimische Bedrohung gibt es sie wirklich: Annäherung, Verständnis und Miteinander. Es gibt dieses Gegen-Feuer des Dialogs. Mit dieser abgnutzten Vokabel möchte ich nicht die institutionalisierten Riten der wechselseitigen Selbstbestätigung von selbstherrlichen Verwaltern religiöser Dogmen ansprechen, die sich für die Spitzen-Repräsentanten der islamischen oder sogenannten christlich-abendländischen Kultur halten. Basierend auf der Erkenntnis, dass auch Muslime nur Menschen sind und dass auch im Islam vieles nicht so heiß gegessen wird, wie man es kocht, ist es der Versuch, mit der Andersartigkeit klarzukommen, ohne sie zu ignorieren, in eigene Denkschemata einzupassen oder gar schönzureden. Hier kommt die Literatur, die Literatur-Übersetzung und auch die Orient-Wissenschaft ins Spiel. Nicht, indem wir uns in großen getrennten Lagern einander gegenüber aufstellen, sondern indem wir freimütig alle unsere Gedanken austauschen, was selbstverständlich auch Kritik in den grundlegendsten Fragen unvermeidlich macht, indem wir alles in die Waagschale werfen, was unsere wie auch immer geprägten Kulturen zu bieten haben, halten wir dieses andere Feuer am Leben, unser gemeinsames Feuer. Und wir brauchen es mehr denn je.

Was mich als Orient-Wissenschaftler schon beim ersten Blick auf den Klappentext von Adelheid Seltmanns „Feuer“ faszinierte, war, dass dieses Buch eine lebendige und unverkrampfte Aneignung orientalischer Kultur darstellt. Man kann es nicht als westliches Buch lesen, ohne die orientalische Dimension zu kennen, und umgekehrt. Daher fand ich es eine reizvolle Aufgabe, Berührungspunkt des Buches mit der klassischen arabischen, persischen und osmanisch-türkischen Literatur im Detail aufzuspüren und sie in einem wissenschaftlichen Kommentar, der die Neuauflage von „Feuer“ begleitet, darzulegen. Ich hoffe, dass die Leser beziehungsweise Zuhörer und Zuschauer mir zustimmen werden, wie vielseitig Adelheid Seltmanns Adaptionen sind und wie deutlich die Verbindung mit ihren orientalischen Vorbildern erkennbar ist. Zugleich schafft sie jedoch etwas Neues und Einzigartiges, das nicht bei einer Vermittlung oder Zitierung des Fremden verbleibt, sondern es künstlerisch und kreativ eine Stufe weiterträgt, in die Zukunft, in die nächste Generation.

PD Michael Reinhard Hess, Berlin 2015