Feuer
Das Thema „Feuer“ erscheint in diesem Text in seiner Doppelbedeutung als real brennendes, gefährliches Feuer, aber auch als Metapher für die energetische Kraft der Liebe. Dabei wird die Struktur einer Liebesgeschichte, in der die Liebenden sich begegnen, sich annähern, sich auseinandersetzen und wieder entfernen, zwar verifiziert, aber diese Geschichte wird nach innen verlegt…..
Sie vollzieht sich zwischen dem Ich und dem Du als eine Art Selbstgespräch, in das das Außen ebenso mit hineingenommen wird, wie es dennoch außen vor bleibt……
Es ist das Besondere dieser Texte, die sich als „Digital Art Poetry“ verstehen, dass in ihnen eine Amalgamierung westlicher und orientalischer Motivik stattfindet, die auf einer ganz anderen Ebene ansetzt als etwa die deutsche Orientbegeisterung des Sturm und Drang und der Romantik.
Der Text „Feuer“ knüpft dabei sowohl an arabische und sufische Traditionen wie die der deutschen Literatur an – unter anderem von Goethe und Rückert – und verarbeitet sie innerhalb einer persönlich erfahrenen Problematik.
Damit stellt der Text sich poetisch einem „clash of cultures“ entgegen, was heisst, dass die östlichen Kulturtraditionen nicht in die deutschen integriert werden, sondern dass zwischen diesen und der deutschen Literatur ein aufmerksamer Austausch stattfindet.
Vor dem Hintergrund einer sich andeutenden, immerhin möglichen Tendenz zur kulturellen Annäherung zwischen Orient und Okzident erschien es Michael Hess als ein sinnvoller Beitrag zu dieser Literatur-Globalisierung, den Text „Westöstlich Feuer“ mit dem Instrumentarium der Motive, der Formen und Floskeln der traditionellen osmanischen und türkischen Dichtung, vor allem der „Diwanliteratur“ genannten höfischen Kunstpoesie zu lesen.
Der Text wird in diesem crossmedia eBook Projekt eingesprochen zu 30 Videos und ergänzt durch ein Vorwort und einen wissenschaftlichen Kommentar, der dem Leser diesen Prozess der Annäherung erklären und nahebringen kann.
Der Text Feuer erschien zunächst 2008 im Buchdruck im ShakerMedia Verlag Aachen. 2012 fügte Michael Hess dann einen Kommentar und ein Vorwort hinzu.
Die crossmedia Versionen des Buches erhielten verschiedene Updates bei Apple Books und bei Amazon. Die Bücher enthalten jeweils 28 Videos zu den Texten, die Adelheid Seltmann eingesprochen hat. Die dazugehörige Musik ist vorbereitet, allerdings müssen die Rechte noch eingeholt werden. Ebenso gibt es eine englische Version, die in Bearbeitung ist.
Nachwort Michael Hess
Der Name des persischen Dichters Rumi im Umschlagtext von FEUER ist eine Überraschung.
Wie schafft es dieser persische Titan der Liebeslyrik (1207-1273), der die Philosophie der gegenseitigen Achtung und Zuneigung in Abertausenden von Versen verherrlichte, ausgerechnet in die Ankündigungsprosa eines deutschen Textes, die sich menetekelgleich über das schwarze Cover des Buches schlängelt?
Folgt man dem Einbandtext noch etwas, wird rasch klar, woher dieser mystische „Hauch“ weht: direkt aus Goethes West-östlichem Diwan. Beim Lesen der um das Leitmotiv des Brennens kreisenden Sätze merkt man aber ebenso schnell, dass hier eine Amalgamierung von westlicher und orientalischer Dichtung stattfindet, die auf einer ganz anderen Ebene ansetzt als die deutschen Orientbegeisterung des Sturm und Drang und der Romantik.
Die Orient-Euphorie jener Epoche lässt sich als Folge eines grundlegenden Paradigmenwechsels deuten, der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts durchgesetzt hatte.
Seit dem Fall Konstantinopels 1453 war im christlichen Europa das Schreckgespenst von der Türkengefahr umgegangen, die eine ganze Literaturgattung von Panikpamphleten hervorbrachte, unter anderem aus der Feder von Luther.
Die lebensbedrohliche militärische Gefahr durch die Osmanen war erst vorbei, als deren Belagerung Wiens im Jahre 1683, wenn auch knapp, scheiterte und somit ihr Unbesiegbarkeitsmythos endgültig und irreparabel in die Brüche ging.
Das bis kurz vor diesem welthistorischen Wendepunkt – beispielsweise im deutschen Barockdrama Gryphius’ und Lohensteins – vorherrschende, von apokalyptischen Bedrohungsvisionen geprägte Türkenbild wurde nun allmählich durch eins ersetzt, in dem der islamische Orient nicht mehr so stark eine Quelle von Angstneurosen war, sondern vielmehr als ein verführerisches, exotisches und kulturell faszinierendes Gebiet auftrat – was er im übrigen wie bereits im Hochmittelalter schon einmal getan hatte.
Die Kausalität dieser Umwertung ist nicht allein in der Umkehr des militärischen, politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisses zu suchen, das gut 150 Jahre nach der Entscheidungsschlacht vor Wien vom einst furchterregenden Gran Turco nicht mehr übrig lassen sollte als den vielgescholtenen „Kranken Mann vom Bosporus“, der kurz davor war, unter den Stiefeln Russlands zertreten zu werden.
Paradoxerweise kam der vielleicht entscheidende Impuls, um dem Schreckbild von der türkischen Geißel Gottes den schwärmerischen Wunschtraum vom Orient als positive Alternative zur Seite zu stellen, aus demjenigen europäischen Staat, der sich aus machtstrategischen Gründen als einziger frühzeitig mit den Osmanen verbündet hatte, zum Entsetzen und Schock der übrigen christlichen Staaten.
Denn wohl keine literarische Publikation hat die Wahrnehmung des Orients jemals so stark und nachhaltig verändert wie die Veröffentlichung der Mille et Une Nuits von Antoine Galland in den Jahren 1704-1717.
Es dauerte nicht lange, bis die neue Wahrnehmung von Frankreich, der kulturellen und politischen Führungsmacht Europas in dieser Zeit, auf den deutschsprachigen Raum übergriff.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts nahm das Interesse an der wissenschaftlichen und literarischen Beschäftigung mit dem Orient stetig zu, und die bis heute stilbildenden Orient-Adaptionen Goethes, Rückerts und Platens fußten auf den umfangreichen philologisch-historischen Vorarbeiten von Orientexperten wie Hammer-Purgstall.
Kein Werk ist symbolträchtiger für diese Blüte der deutschsprachigen Orientaneigung als Goethes berühmter Diwan.
Seither haben die kulturellen und politischen Beziehungen zwischen dem islamischen Orient und Europa zahlreiche Peripetien durchlebt, um es einmal vornehm auszudrücken.
Der kulturelle Überlegenheitsanspruch des europäischen 19. Jahrhunderts ist in den beiden Weltkriegen und den sie begleitenden Zivilisationsbrüchen, für die Hiroshima und Auschwitz stehen, spektakulär zerborsten.
Auf diese Urkatastrophen des vergangenen Jahrhunderts folgte im Mittleren Osten eine Phase der Dekolonisierung und Nationalstaatenbildung und im Westen eine der Zurücknahme des Sendungs- und Selbstbewusstseins gegenüber den Nationen und Kulturen des Orients.
Das spannungsreiche Verhältnis des Staates Israel zu seinen Nachbarn, das von der US-Außenpolitik in Iran und anderen Staaten angerichtete Chaos, die Ölkrisen und zuletzt der von Organisationen wie al-Qaida ausgehende neo-dschihadistische Terror der Post-9/11-Ära haben im Verhältnis der Kultursphären zu weit verbreiteter Ernüchterung geführt, mutmaßlich auch bei dem Typ von Zeitgenossen, der sich noch im Heyday der 68er-Zeit auf den Hippie Trail über die Türkei und Iran nach Indien aufgemacht hatte, um zu Quellen tiefer Spiritualität vorzustoßen.
Und dennoch gibt es auch im Zeitalter des globalen, sich auf ,den‘ Islam berufenden Terrors nach wie vor das wie eine Fata Morgana aus den Leichenbergen und Trümmern zahlloser Kriege, Interventionen und Selbstmordattentate hervorragende romantische Traumbild eines islamischen Orients, der eine Quelle der Liebe, Weisheit, Harmonie und Schönheit sei.
Und wenn man genau hinsieht, findet man sie immer noch vereinzelt im Schatten der Blauen Moschee in Istanbul: die westlichen Sucher nach dem Licht des Orients, im Teeglas rührenden Sufischwärmer und Islamophilen, die in Allah das Surrogat für die sterbende Religiosität des christlichen Abendlandes suchen.
Vielleicht kann man die lautstarke Kritik des Steine werfenden Protagonisten der Demontage westlichen „Orientalism“s – verstanden als die mit Kitsch durchsetzte Summe derartiger Traum-Klischees – Edward Said und seiner Fußstapfenfüller positiv gewendet als Hinweis auf eine Chance sehen, die es in der langen Geschichte der islamisch-westlichen Beziehungen seit der Zeit Goethes nicht mehr gegeben hat.
Diese Chance besteht in einer aus der Desillusionierung über das Scheitern der Überlegenheitsansprüche beider Kulturen geborene Annäherung in kleinen und kleinsten Schritten.
Diese ist sichtbar geworden in der Pervertierung des westlichen Zivilisations- und Fortschrittsglaubensebenso wie der heroischen, aber unmenschlichen und somit sinnlosen Sackgasse des Dschihadismus.
Aus der Befreiung von Klischees kann eine direkte, spielerische und unbekümmerte Kontaktaufnahme zwischen Kulturgebilden entstehen. Im Zeitalter der internetgestützten Globalisierung treten diese ohnehin weniger denn je als hermetisch abgeschlossene Welten in Erscheinung. Eher sind sie in permanent vibrierendem Austausch miteinander stehende Enden ein und derselben, milliardenfach verknüpften Globalität.
Die Rede von den Kulturgebilden ist dabei der Versuch, das aus dem Plural von ,Kulturen‘ ansonsten zwangsläufig erwachsende Denken in separaten, definierbaren, trennbaren und letzten Endes auf Konfrontation programmierten Werteuniversen zu subvertieren. Und wenig ist heute nötiger als die Zerstörung der Analogien zum Rassismus und Totalitarismus der vorausgehenden Generation, die sich religiös oder weltanschaulich gewanden und mit unzeitgemäßer Unbekümmertheit Ausschließlichkeit und alleinige Wahrheit für sich in Anspruch nehmen.
Vor dem Hintergrund dieser sich andeutenden, zwar nicht als Realität anzusprechenden, aber immerhin möglichen Tendenzen zur kulturellen Annäherung zwischen Orient und Okzident (die genau verstanden die Demonstration der Leerheit dieser Bipolarität wäre) erschien es mir als ein sinnvoller Beitrag zu dieser Literatur-Globalisierung, FEUER mit dem Instrumentarium der Motive, Formen und Floskeln der traditionellen osmanischen und türkischen Dichtung, vor allem der „Diwanliteratur“ genannten höfischen Kunstpoesie zu lesen.
Die Anklänge und Übereinstimmungen sind frappierend – etwa von der sich „orient-perlenartig“ von einem poetischen Bild zum nächsten vorarbeitenden Gesamtstruktur, der Dialoghaftigkeit bis hin zu wortwörtlichen Anklängen an jahrhundertealte Klassiker der orientalischen Dichtkunst.
Als ,Westler‘ und ,Ungläubiger‘ das angelesene Wissen über den Orient als Spiegel für eine westliche Dichtung zu benutzen, die wiederum selbst eine – teils bewusste, teils wohl unbewusste – Reflexion orientalischer Elemente darstellt, erscheint als eine Art praktischer Interkulturalismus, dessen Ergebnis eine Mini-Bilanz von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Verbindungs- und Anknüpfungspunkten, aber auch Diskontinuitäten sein könnte, von denen unser Zeitalter geprägt ist.
Die dem deutschen Leser von FEUER beigegebenen Anmerkungen dienen somit nicht dazu, die dem orientalistisch nicht Vorgebildeten vielleicht verborgenen Bezüge dieser Texte zu ,offenbaren‘ oder gar ihren Sinn zu ,erklären‘ (was mit ziemlicher Sicherheit auf die Dekonstruktuion dieser Texte), sondern zu einer neuen Art der Lektüre orientalisch-okzidentalischer Übergangsphänomene anzuleiten, die auf den marktwirksamen Zauber des Exotischen ebenso verzichtet wie auf den panischen Duktus der politischen und militärischen Bedrohungsszenarien, sondern die dort ansetzt, wo Goethe vor zwei Jahrhunderten aufhörte.
Zitierte Literatur
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Neuwirth, Angelika/ Heß, Michael et al. (Hgg.): Ghazal as World Literature. Bd. 2. From a Literary Genre to a Great Tradition. The Ottoman Gazel in Context. Würzburg: rEgon, 2006
Schings, Hans-Jürgen: Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit. In: Kaiser, Gerhard (Hg.): Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen. Stuttgart: Metzler. 35-73., 1968