Die literarische crossmediale Revolution

Vom Crossmedia Journalismus zum crossmedia eBook

Den Tag beginne ich damit, dass ich auf meinem iPad in der SZ App „Kiosk“ die neue Ausgabe herunterlade und mir beim Frühstück das kommentierende Video ansehe bzw. das „Streiflicht“ anhöre. Das ist eine so selbstverständliche Gewohnheit für mich geworden, dass mir die Zeit, als ich noch eine Papierausgabe der SZ las, weit entfernt vorkommt.
Ganz sicher bin ich, dass sich deswegen die journalistische Qualität der neuen, permanent übrigens mit Updates versehenen App nicht verschlechtert hat, im Gegenteil, ich werde umfassender und vielseitiger informiert als zuvor. Ich langweilige mich selten, und wenn, streiche ich weiter, gerade weil der Stil dieses neuen Journalismus eher nüchterner geworden ist. Auch vereinfacht die Tatsache, dass ich in den verschiedenen Ressorts zum gleichen Thema divergierende Aspekte einer Problematik schnell orten kann die Zuordnungen der Informationen.
Dass das Layout der App sich dem digitalen Leseprozess anpasst, kommt mir als Leser entgegen. Es geht nicht mehr darum, möglichst viel Text auf eine Seite zu packen, Absätze werden großzügig gestaltet.
Fazit: Ich möchte die Zeitungs-App auf meinem Tablet morgens nicht mehr missen.

Was ist da anders geworden, wie hat sich die Kultur des Zeitunglesen verändert?
Wichtig ist, dass in jedem Fall den Bild- und ggf. Toninformationen ein ausführlicher Textkommentar folgt, je nachdem sogar verlinkt mit mehreren der gleichen oder ähnlichen Thematik in den Sparten Politik, Wirtschaft oder Kultur, dort dann auch nicht selten mit mehreren ergänzenden Filmen und Bildern.
Denn Videos und Bildern den Bildern allein ist nicht zu trauen, besonders wenn Bild oder Filminformationen übernommen werden, deren Authentizität nicht mit letzter Wahrscheinlichkeit bestätigt werden kann.
Damit aber entsteht eine vorher so nicht gekannte Relation zwischen Bild und Text, keines der Medien bleibt für sich, ist vollständig ohne die anderen, dafür vervollständigen und vertiefen sie die Komplexität der Informationen.

Die Eindeutigkeit stellt dabei vor allem der Text her, der nicht nur die Fakten benennt, sondern sie einordnet, zuordnet und wertet. Zwar scheint das Bild auch zu werten – grausame Bilder vor allem berühren, erschüttern – aber der Leser wird erst durch den kommentierenden Text nicht einer bloßen Emotionalität überlassen. Ihm wird beides geboten, die Konkretion des Bildes und im Text die Möglichkeit, dies zu verarbeiten und zu bewerten. Die Kombination – vor allem dann in den verschiedenen Aspekten, den kulturellen, den wirtschaftlichen und den politischen – ist ein unglaublicher Gewinn für den Leser, den die alte Printausgabe so niemals bieten konnte.

Eines scheint sicher: die digitale Revolution hat den Journalismus soweit neu geprägt, dass es ein Zurück zur alten Zeitung nicht mehr geben wird.
Auch klar: die Zeit der PDF Ausgaben, der elektronischen Zeitungen, wird vermutlich nur eine kurze Übergangsphase sein, die der Zeitungsapp mit ihren crossmedia Möglichkeiten weichen wird. Dann doch lieber ein reales Stück Papier als ein umständliches Klicken auf dem Computer für schwarzweiß Buchstaben, die – nun gut – eben nicht mehr gedruckt wurden.

Verglichen mit dem modernen Journalismus hinkt der Buchmarkt, hinken die Buchverlage da hinterher. Es darf aber prognostiziert werden, dass sie auch unter den Hammer der digitalen Revolution kommen und das gedruckte Buch sehr bald in der gleichen Lage sein wird, wie es die Zeitungen vor einigen Jahren waren.

Dabei sind die eBooks – epub PDFs – sicherlich praktisch, weil sie schnell herunter zu laden sind, man kann viele von ihnen mit wenigen Bits speichern – muss als Student nicht lange die Ausleihe bemühen usw. Aber ein begeisterter Leser liest seinen Hölderlin sicherlich nicht freiwillig als eBook, er liebt die schöne Ausgabe, den Geruch des Papiers. Dass das Blättern technisch nachgeahmt wird, entschädigt für das taktile Vergnügen des Bücherlesens nicht.

Zwar hat sich vor allem auch bei Amazon Kindl ein größerer Selfpublishing Hype ausgebreitet. Jetzt kann jeder, der immer mal schon gerne einen Krimi, einen Horror – oder Liebesroman schreiben wollte, sich relativ leicht eine Veröffentlichung gönnen, die ihm seriöse Verlage vorher verweigerten.
Und wer sich eigentlich schämte, einen erotischen Roman zu kaufen oder zu lesen, kann diesem Vergnügen jetzt unbeobachtet und unzensiert nachgehen, indem er herunterlädt, was er jetzt nicht mehr im Buchladen oder an der Kasse vor Supermarkt kaufen muss.

Das digitale literarische Buch aber ist leider noch ein Zukunftsprojekt, denn da muss mehr passieren als nur eine ePub Umsetzung: es verlangt eine neue Art des Schreibens, einen Umbruch in der Literatur, es verlangt einen „Urknall“ der Literatur, wie es G. Meyer einmal in der über die Projekt „epitaph“ und „feuer“ des Teams entire3 in Berlin schrieb. (Berliner Zeitung 19.05.2010)
Und das auf mehreren Ebenen, inhaltlich ebenso wie strukturell.

Denn das neue digitale Buch konstituiert sich im Gegensatz zum elektronischen Klon des Buches der Gutenberg-Ära vektoriell. Das heißt, es kennt keinen Handlungsablauf von A nach B mehr, keinen üblichen Spannungsplot, keine handelnden Figuren (die findet man dafür in den Netflixserien z.B.) integriert dafür aber Medien, Musik, Videos, Filmauschnitte, Informationen und Links, die den Text ergänzen, kommentieren und untermauern, ganz ähnlich verfahrend wie der neue crossmediale Journalismus mit seinen Apps.
Das crossmedia eBook will deswegen auch ganz anders gelesen werden: die Textgruppierungen werden verlinkt in ihren verschiedenen Zuordnungen wahrgenommen, diese Bücher „liest man nicht durch“.

Die traditionellen Verlage können und wollen ein solches Buch mindestens zur Zeit nicht produzieren, die alte Literaturpräsentation und Produktion läuft bisher wie seit eh und je mit Lektoraten und einem Preiskarussell, das den Vertrieb ankurbeln soll.
Seit Effi Briest hat sich dieses Schreiben nicht verändert, so scheint es. Der Autor kreiert „Figuren“, erfindet Plots – und erzählt von A nach B, die Spannungskurve beachtend, eine Art von Erzählen, die, wie schon Vilem Flusser ( Vilem Flusser: „Ins Universum der technischen Bilder“, Göttingen 2000, s.11 ff) überzeugend darstellte, dem Digitalen völlig fremd ist.

Dabei haben eigentlich schon Dichter des 20. Jahrhunderts wie Proust („Die wiedergefundene Zeit „) Musil und Pessoa diese Strukturen kritisch hinterfragt bzw. durchbrochen. Dennoch wird im Literaturbetrieb unserer digital dominierten Gesellschaft so getan, als hätte sich nichts verändert, vielleicht auch weil die Generation Ü50, die Käuferschicht, die die Leserschaft dominiert, gerade im Alten eine Beruhigung findet, die gut tut, sich in ihrer Verwirrung über all diese Neue im Althergebrachten besser aufgehoben fühlt.

Der geniale Steve Jobs hat vor seinem Tod noch dafür gesorgt hat, dass Apple für das iPad die Authoring Software programmierte und sie kostenfrei zur Verfügung stellte. Mit dieser Software lässt sich – anders als in einem ePub Format – ein digitales Buch mit allen wichtigen Ergänzungen und Verlinkungen publizieren.

Zugleich verpflichtet Apple die Autoren sich verbindlich einzuschreiben (Verifikation bei iTunes Connect), so dass die Käufe der dort veröffentlichen iBooks für den Käufer wie für Apple kontrollierbar und Raubkopien unmöglich sind.
Die Preise werden so festgelegt, dass der Autor mit 70% des Downloads beteiligt ist. Die Webseite dokumentiert das, es wird auf das Konto des Autors überwiesen. Apple stellt zudem für jedes Buch zeitlich auf 4 Wochen begrenzt 250 freie Downloads zu Werbezwecken bereit.
Damit fungiert Apple als digitaler Verlag, die Bücher bleiben in der Cloud gespeichert, wie es bei eBooks sonst auch üblich ist. Die Veröffentlichungen in den „Stores“ sind unproblematisch international, in den meisten Ländern möglich. Nützlich ist deswegen natürlich eine mehrsprachige Präsentation, mindestens einer englischen Übersetzung,

Was fehlt, ist dabei aber die Anbindung zum Beispiel an den lokalen, z.B. deutschen, Literaturbetrieb, der ein so produziertes und publiziertes Buch zugunsten des gedruckten Buches und seiner Spiegelung als eBook ungern wahrnimmt.
Im digital rückständigen Deutschland ist der Umgang mit solchen Downloads auf iPads nicht selbstverständlich. Zudem muss kritisch hinzugefügt werden, dass Apple mit seiner teuren Hardware und seinem IOS Betriebssystem sein eigenes Universum betreibt. Ein einfaches Switchen zum Androidsystem ist bis jetzt nicht möglich.

Dazu kommt, dass vor allem auch die deutsche Literaturkritik so sehr verbandelt mit den alten Verlagen, so sehr geeicht auf die alten Strukturen ist, dass eine poetischen Digitalität wenig wahrgenommen, wenn nicht von vornherein abgelehnt wird.

Sagte doch ein Verleger auf der Leiziger Buchmesse beim von Xing organisierten Autorentreff, als es darum ging, digitale Veröffentlichungen in die Diskussion einzubringen:
„Ein iPad, wozu ist das gut? Zum Eier kochen?“

Nun ja, da kann man nur kommentarlos gehen und darauf hoffen, dass die Zukunft sich beeilt.