Berthold Dirnfellner

Berthold Dirnfellner

eisige textgewässer
fluchtweg

collage roman
axel-dielmann verlag
frankfurt1996

Nicht ein resignierendes Abhauen zu Stränden unterhaltsamen Zeitvertreibes ist von diesem Buch zu erhoffen.
Seine Worte, Sätze kreisen jene Bewegungsrichtung ein, deren Blicklinie zu den Notausgängen führt: Und Flüchten wird da zur Gegenwehr, wo es zu literarischem Text geworden ist, die Fluchtbewegung.
In ihrem Collageroman FLUCHTWEG“ hat die Frankfurter Autorin Adelheid Seltmann der literarischen Ästhetik die stoffliche Gestaltung der Verweigerung eingeschrieben.
Entgegen den eingeübten Sprach- und Literaturritualen, den Monotonien des Erzähltons, antwortet ihr Text nicht mit dem erwarteten Unterhaltungswert des Boulevards passierender Paare.
Danke gut!

Dieser Utopie in Harmonie kehr ihr den Buchrücken zu, um unter zu tauchen ob im Anschreiben gegen das Schweigen des Gegenüber, ob in Höhlen totenfester Erdgebirge oder totgesagten Innerwelten oder unter Eis zugefrorener Wörterseen. Literarische Mosaiksteine sind es, deren Ensemble das Brennen, das Stechen, den Schmerz der Flucht und auch das Befreiende, nie aber erzählerischer Form.
Ihr, zu einem Ton verdichtetes Bild stütz in unbekannte Schächte, in tiefe Brunnen, darinnen sich die Kindheit unrettbar eingeklemmt hat, blitzt grell im Strahlen der atomaren Energien, ob friedlich genutzt oder militärisch bleibt hierbei unerheblich, da beide Formungen jeglichen Entkommen versagen, und das Bild des Fluchtweges berichtet vom Nachtschatten grammatikalischer Ordnung. Wachgüssen ähnelnder Körper gebeugt über den Spiegeln der Wasser, dichtwuchernde Gartenlandschaften tauchen darunter auf und werden im nächsten Collagemoment ihrer scheinbaren Fluchtmöglichkeit beraubt, in den das
Alltägliche der schmalen blauen Linie des Entkommens seine Maskarade bleierner Schwermut überstülpt.
Jedoch führt die folgende Textszene umgehend zum Totenfest für jene Befreiung, die einen ungestörten, reibungslosen Ab- und Verlauf verspricht und für die Garantie einer kalkulierbaren Ökonomie der Intensitäten steht.
Adelheid Seltmann Fluchtweg bringt Sprengstücke, eisige Textgewässer hervor, deren scharfkantige Schnittstellen das Unterfutter der derzeitigen bundesdeutschen endlosen Erzähllitanei aus allen Nähten platzen lässt. Und dies nicht zuletzt, weil das Diktat bürgerlicher Norm aus der Facon seiner großen Fabeln, seiner heraus gestalteten Charaktere, aus seinem nun doch schon mit ersten Anzeichen einer Schwächung versehenen Immunsystems versehenen Glauben an den eigenen Realismus gerät.
Der Fluchtweg fokussioniert die Perspektive jeder Regionen, wie sie der Doctor Faustus des Christopher Marlow, Willian Gibsons „Neuromancer“ und Parzival passieren müssen, zu Räumen kristallener Bilder, drängt nach neuen Inszenierungs-Szenarien von Literatur, die keine vorhandenen Realität gut heißen, macht sie zur Waffe.