Adelheid Seltmann über: Milan Kundera

Fest der Bedeutungslosigkeit ….Gute Laune über dem Abgrund

Ein poetisches Meisterwerk, ohne Frage, gibt der Hanser Verlag in einer Ausgabe mit einer schönen Anmutung heraus, für die es sinnvoller Weise keine Kindl eBook Version gibt.

Kundera spielt mit Sprache, beherrscht die Wendungen der Erzählung souverän, witzig, ironisch. Das Personal wird eher skizziert, wie beiläufig gezeichnet, dennoch bei allem Abstand, den er, um der ironischen Distanz willen, beibehält, mit äußerster Präzision.

Er lässt die Gespräche zwischen den älteren Herren Alain, Ramon und D’Ardelo auf und abklingen im leichten

Plauderton, der dennoch alles andere als oberflächlich ist.
Nein, man sagt nicht, was man weiß und denkt: D’Ardelo lügt, wenn er verkündet, er werde an Krebs sterben, dabei ist er froh, zu wissen, dass er dem Tod, den er gefürchtet hatte, entkommen ist. Er genießt diese seine Lüge sogar als „geheimen Charme.“
Spielerisch macht Kundera es möglich, dass der Tod, der Ernst des Todes, in seinem Text präsent bleibt und dennoch die „gute Laune“ als Widerständigkeit sogar erst ermöglicht, das Lachen der „Bedeutungslosigkeit“, das Bewusstsein, dass die Bedeutungslosigkeit „die Essenz aller Existenz“ ist.
Dabei sind Sexualität und Erotik zwar zentral, aber dennoch sind es eher Reflexionen der Alternden, Nachspiele, ein Träumen, von dem, was sein könnte, vielleicht, aber doch nicht, nicht mehr. Die jüngeren, schönen Frauen entziehen sich, und die bedeutende Frau, die ihren Geliebten verloren hat, spielt mit der Feder und bleibt unzugänglich.
Dafür macht sich die Erinnerung an die Mutter breit, die Mutter, die nie da war, die Mutter, die im Sterben liegt, Mütter, wie kann man ihnen entkommen?
Die Nabelschau der bauchfreien Sommermode, die die jungen Mädchen praktizieren, irritiert und regt zum Nachdenken an: was hat es mit dem Nabel auf sich?
Welche Nabelschnur hatte einen mit der Mutter verbunden, mit dem Ursprung, mit dem Leben überhaupt?
Kundera lässt Ramons Mutter von der nabellosen Frau phantasieren, die nicht ein nabelloser Engel ist, sondern das Opfer des Mörders, der die nabellose Frau absticht, vom „vollständigen Verschwinden der Menschen mit ihrer Zukunft und ihrer Vergangenheit.“
Das Große an dieser Erzählung, die an vielen Stellen an Proust erinnert, vielleicht sogar Proust als literarisches Vorbild hat und die sich so leicht wie eine Feder macht oder scheint machen zu können, die im Strom der Sätze flaniert, ist, dass sie im Gestus des Leichten Schwerwiegendes, auch Aktuelles zur Sprache bringt.
Möchte man doch den Facebook Usern ins Stammbuch schreiben: „Durch sein Reden immer präsent sein und doch ungehört bleiben erfordert Virtuosität.“

Auch die Anekdote von den 24 Rebhühnern und Stalin – in der das Grauen des 20.Jahrhunderts, keineswegs seiner Furchtbarkeit entledigt, nachklingt, bewahrt diesen Gestus des Leichten, des Witzes, vielleicht sogar Kalauers.
Damit wird der Abgrund des Grauens, der nicht geleugnet werden kann und soll, in seiner Konsequenz verneint, denn „es gibt nichts Wirkliches hinter unseren Vorstellungen“, wie es Kant einmal behauptet hatte. Schoperhauer dagegen gibt sehr viel eher die Richtung vor.

Ist es so? Die poetischen Qualitäten des Buches können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf dem Grund des Textes – für den mit dem Bild von Monet „Pond“ ein Äquivalent als Teich einer schimmernden Schönheit zu finden wäre – das schwarze Loch eines undurchdringlichen Nihilismus liegt. Der in dieser Erzählung ständig als Gedanke und Vorstellung präsente Tod wird in seiner Bedeutung nicht verkannt, denn Fakt ist, er kommt sicher für die, die alt geworden sind. Und nicht nur kommt er sicher, sondern sicher bald – also: was macht es denn, lassen wir uns die gute Laune nicht verderben.

Kann das gelingen? Oder ist dieses leichte Lachen nicht vor allem mühsam, weil es unehrlich ist, weil es versucht, die Angst vor dem Faktum Tod zu vertreiben?
Den Hinweis, dass Kundera hier zwar sprachlich mit höchstem Können, aber inhaltlich falschspielen dürfte, gibt ein Detail, das alles andere als ein Detail ist.

Es ist eben nicht so, dass der Nabel bei allen Menschen gleich ist – während sich Busen, Schenkel und Hinterteile unterscheiden; gerade der Nabel in der Mitte des Menschen ist individuell, jeder Nabel ein anderer, jeder wieder neu entworfen von den Zufällen der Vererbung.
Das Bedeutende, das Bedeutungsvolle des Lebens, des zukünftigen Lebens, dass die Alternden nicht mehr vor sich haben, lässt sich nicht herunterspielen für die jungen, neugierigen Augen, für die es spannend ist, neun Jahre alt zu werden, für sie ist ihr nächsten Lebensjahr sehr bedeutend.

Dieses schöne Buch, als Nachklang der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sei gewürdigt, das neue 3. Jahrtausend aber denkt anders: die digitale Revolution generiert eine neue Kultur, die die alte hinter sich lassen wird: als bedeutungslos, wie sie es mindestens bei Kundera selber sein will oder vorgibt sein zu wollen.

Doch es könnte sein, dass die Jungen dieses Alte, Vergangene trotz oder gerade wegen seiner ironischen Leichtfüßigkeit nicht mehr wertschätzen können, weil es sich ihnen entfremdet hat, weil es für sie eben „bedeutungslos“ geworden ist.